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Speeches

Speech by Federal President Frank-Walter Steinmeier at a state banquet in honour of the President of Ireland German

Schloss Bellevue, 3 July 2019

Wohl nur wenige Staatspräsidenten haben eine so begeisterte Online-Fangemeinde wie Sie, lieber Präsident Higgins. Als Amtskollege muss ich gestehen: Da kann man schon etwas neidisch werden. Insbesondere bei der Überschrift dieser Fanseite: "Tired Of Your President? Then Take A Look At 24 Photos Of Ireland’s President Being The Best President."

Auf diesen Fotos sieht man Sie wahlweise in einer Schlange vor einem Geldautomaten warten oder Arm in Arm mit Ihrer Frau Sabina; zusammen mit den großen Männern des irischen Rugbyteams oder – in Miniaturausgabe – als gehäkelten Teekannenwärmer.

Wir freuen uns sehr, dass Sie zu einem Staatsbesuch nach Deutschland gekommen sind. Herzlich willkommen in Schloss Bellevue!

Die große Wertschätzung, die Ihnen im In- und Ausland entgegengebracht wird, begründet sich in Ihrer sympathischen Persönlichkeit und Ihrer Bürgernähe, gepaart mit Ihrer weithin bekannten Gelehrsamkeit.

So ist überliefert, dass Sie einen ehemaligen Londoner Bürgermeister und späteren britischen Außenminister beim spielerischen Wettstreit im Rezitieren altgriechischer Dichtung überflügelt haben sollen.

Im Vorwort einer Ihrer eigenen Gedichtsammlungen beschreibt Sie der Herausgeber als politischen Poeten und poetischen Politiker. Während Ihrer Amtszeit sind Sie zwar seltener zum Schreiben gekommen, dafür trägt Ihre politische Arbeit umso mehr Früchte. So haben Sie sich erfolgreich für eine weitere Normalisierung der Beziehungen Irlands zum Vereinigten Königreich und für die Fortsetzung des Versöhnungsprozesses in Nordirland eingesetzt.

Als erster Staatspräsident Ihres Landes waren Sie zu einem denkwürdigen Staatsbesuch in London zu Gast. Das hat Ihnen auch bei uns viel Zustimmung und Sympathie eingetragen. Ich bin sicher: Diese Geste wird einen Platz in den Geschichtsbüchern finden!

Und doch sind die Narben der Vergangenheit noch nicht ganz verheilt. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union darf diese alten Wunden unter keinen Umständen wieder aufreißen. Irland ist politisch und wirtschaftlich vom Brexit so unmittelbar betroffen wie kein anderer Mitgliedstaat der EU. Auch deshalb gilt Ihrem Land unsere volle Solidarität. Dieses Versprechen haben wir in den letzten Monaten erneuert: Deutschland steht fest an der Seite Irlands!

In den Austrittsverhandlungen haben sich der Wert und der innere Zusammenhalt der Europäischen Union so deutlich gezeigt wie selten. Irland ist Teil dieser Union. Und die Kerninteressen Irlands sind und bleiben die Kerninteressen der Union.

Das gilt insbesondere für den nordirischen Friedensprozess. Wir wissen um die große Versöhnungsleistung seit dem Karfreitagsabkommen. Wir wollen Sie in Ihrem Bemühen bestärken, für die innerirische Grenze eine Lösung zu finden, die den Friedensprozess unterstützt und nicht untergräbt. Dazu gehören natürlich freier Personen- und Warenverkehr. Und dazu gehören keine Schlagbäume, Zölle und Handelshemmnisse. Diese Anliegen Irlands sind auch unsere Anliegen.

Das verhandelte Austrittsabkommen mit dem Vereinigten Königreich bewahrt die Errungenschaften des Karfreitagsabkommens. Alle Mitgliedstaaten der EU haben einhellig erklärt, dass es hier keine Nachverhandlungen geben kann. Uns bleibt, zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis auch in der neuen Regierung in London durchsetzen wird.

Deutschland hat Irland viel zu verdanken. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen irische Familien hunderte Kinder aus Deutschland auf, um sie vor Hunger und Not zu bewahren. Und im Jahr 1990 spielte Irland mit seinem damaligen Vorsitz im Rat der Europäischen Gemeinschaften eine wichtige Rolle bei der Vollendung der Deutschen Einheit.

Für all das sind wir Deutsche Ihnen dankbar, und wir bleiben es.

Diese Verbundenheit, lieber Präsident Higgins, ist auch in unserem gemeinsamen Wahlaufruf zur Europawahl zum Ausdruck gekommen. Über die höhere Wahlbeteiligung haben wir uns jedenfalls beide sehr gefreut!

Unsere besondere Verbundenheit zeigt sich auch in Ihrem Besuch – einem Besuch bei Freunden. Bei Ihnen in Irland würde man sagen: "Das Auge eines Freundes ist ein guter Spiegel." Ich bin gespannt, was Sie im Spiegel unserer Augen sehen, welche Erfahrungen Sie mit nach Dublin nehmen werden.

Auch wir in Deutschland können uns von Irland inspirieren lassen – zum Beispiel wenn es darum geht, unsere Demokratie für die Zukunft zu stärken, etwa mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung.

Mit großem Interesse habe ich die Arbeit der irischen Citizens‘ Assembly verfolgt, zum Beispiel in Vorbereitung des Referendums über das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch. Neunundneunzig Irinnen und Iren, die sich vorher überhaupt nicht kannten – Studierende, LKW-Fahrer, Lehrer, Ingenieurinnen und Krankenpfleger, ein Querschnitt der Gesellschaft – haben sich dafür in einem Dubliner Hotel versammelt. Befürworter und Gegner der Verfassungsänderung. Sie haben miteinander geredet, Argumente ausgetauscht, das Für und Wider abgewogen. "Not exactly the stuff of political revolution", wie eine Tageszeitung kommentierte. Und doch gelang es diesen Bürgerinnen und Bürgern, eine der politisch und ethisch schwierigsten Fragen von Konfrontation in Richtung Konsens zu drehen. Ich finde, dieses Beispiel kann uns Mut in die Gestaltungskraft unserer Demokratien machen. Oder, wie eine Zeitung titelte: "Sie haben der Welt gezeigt, was Demokraten mit etwas Einfallskraft erreichen können."

Ich bin überzeugt: Die Demokratie braucht solche Impulse der Erneuerung. Wir spüren doch in ganz Europa, auch hier in diesem Land: Die Demokratie verändert sich. Aber sie steht deshalb nicht kurz vor dem Untergang – im Gegenteil: Das politische Interesse, der Gestaltungswille, die Erwartungen, gerade unter jungen Menschen, sind riesengroß. Ich wünsche mir, dass es unserer Demokratie gelingt, dieses Engagement nicht wegzustoßen, sondern aufzugreifen und einzubinden. Dafür wünsche ich denen, die heute Verantwortung tragen – in Parteien, Parlamenten, Regierungen –, die nötige Zuversicht und die Offenheit, das Neue nicht als Bedrohung zu empfinden, sondern neue Formen der Beteiligung zu wagen und neue Wege in Politik und politische Institutionen zu ebnen. Kurzum, auch uns in Deutschland wünsche ich ein Stückchen "irischen Mut"!

Lieber Präsident Higgins, auch Sie ganz persönlich machen Ihren Landsleuten Mut – Mut in die demokratische Gestaltungskraft jedes Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer. Oder wie Sie es in Ihrer Antrittsrede vergangenes Jahr formulierten: "It is important that we seek to reach always for the best of ourselves, and the best of what we might become, and that we allow that to guide our collective ambition for our country."

"The best of what we might become" – das wünsche ich nicht nur Ihrem wunderbaren Land, sondern das wünsche ich der Freundschaft zwischen uns, zwischen Irland und Deutschland!

Erheben wir das Glas auf Präsident Higgins, Frau Higgins und die irisch-deutsche Freundschaft.

Vielen Dank!